Die ersten vierzig Jahre

Am 25. November 1535 gründet Angela Merici in Brescia die „Compagnia di Sant’Orsola" und stirbt wenige Jahre später am 27. Januar 1540. Zu ihrer Nachfolgerin hat sie Contessa Lucrezia Lodrone bestimmt. Die Gemeinschaft hat inzwischen 150 Mitglieder.

Nach Angelas Tod wird Kritik laut. Vor allem die selbständige Lebensweise von Frauen in der Welt wird angegriffen, und zwar sowohl von angesehenen Familien als auch von Ordensmännern und Priestern. Es fehlt die anerkannte Persönlichkeit der Gründerin.

Tatsächlich verlassen einige die Gemeinschaft und treten in ein traditionelles Kloster ein oder heiraten. Und nur wenige kommen hinzu, weil Brescianer Bürger ihren Töchtern verbieten, in die Compagnia eintreten. Dadurch ist die junge Gemeinschaft schon kurz nach Angelas Tod in einer schweren Krise.

Lucrezia Lodrone reagiert auf die Kritik mit Zugeständnissen. Sie ordnet an, dass alle Mitglieder als Zeichen ihrer Zugehörigkeit und als Symbol ihres Gottgeweihtseins einen schwarzen Gürtel tragen. Ein Teil der Schwestern sieht darin einen Verrat am Willen der Gründerin und widersetzt sich dieser Anordnung. Auch Angelas Sekretär Gabriele Cozzano verteidigt die ursprüngliche Intention. Dennoch kommt es zur Spaltung. Dabei geht es keineswegs nur um eine Äußerlichkeit, sondern um die Treue zum Geist der Gründerin.

Zugleich bittet die Lodrone in Rom um die päpstliche Anerkennung der Gemeinschaft. Sie wird 1546 in einer Bulle Papst Pauls III. verkündet. Darin bestätigt er die Regel der „Compagnia di Sant’Orsola“ in Brescia, stellt die Mitglieder vermögens- und erbrechtlich Ordenfrauen und Verheirateten gleich und gestattet den Leiterinnen, die Satzungen und Ordnungen zu ändern.

Nach Lodrones Tod verschärft sich der Streit, als Ginevra Luzzago von der Gruppe der Angela-Treuen, rechtmäßig zur Nachfolgerin gewählt wird und die Gegnerinnen kurz darauf Veronica Buzzi wählen.

Erst nach dem Tod der Luzzago ergibt sich die Chance zur Einigung, indem beide Gruppen Zugeständnisse machen. Zum einen tragen von nun alle Schwestern den schwarzen Gürtel, zum anderen wird eine neutrale Frau wird zur Oberin gewählt.

Wesentlichen Anteil an der Versöhnung hat Francesco Cabrino, Begründer der „Compagnia della Pace“, der „Väter vom Frieden“, einer Vereinigung von Priestern, die vor allem in den Hospitälern arbeiten und Katechismusunterricht erteilen.

Cabrino sieht die Ursulinen als weibliche Ergänzung zur „Compagnia della Pace“ und überträgt ihnen den Katechismusunterricht für die Mädchen, der mehr und mehr mit Elementarunterricht in Lesen, Schreiben, Rechnen und Handarbeit verbunden wird. Franceso Cabrino gewinnt zunehmend Einfluss auf die Gemeinschaft.

Als Isabetta Prato Generaloberin wird, initiiert sie eine Veränderung der Leitungsstruktur. Brescia wird nun in sieben Bezirke eingeteilt, jeweils unter der Leitung einer Mutter, der zwei Schwestern zur Seite stehen. Über ihnen steht die Generaloberin, und über dieser der neu eingeführte „Padre generale“ mit den beratenden Männern.

Damit ist Angelas Struktur, in der Frauen sich selbst leiten, zerstört. Aber die enge Verbindung mit der „Compagnia della Pace“ und die Anpassung an die üblichen hierarchischen Strukturen bringen allgemeine Anerkennung. Die Gemeinschaft hat großen Zulauf. Und bald entstehen rund um Brescia neue Ursulinengemeinschaften.

Im Anschluss an das Konzil von Trient wird Mailand unter seinem Erzbischof Kardinal Carlo Borromeo zu einem Zentrum der katholischen Reformbewegung entwickelt. Borromeo unterstützt die neuen Gemeinschaften, insbesondere die Ursulinen. Er gründet in Mailand eine Ursulinengemeinschaft und lässt die Angela-Regel auf die dortigen Verhältnisse hin überarbeiten. Darin wird der Katechismusunterricht wird als Aufgabe festgeschrieben; und die oberste Leitung liegt nun ausschließlich in den Händen von Priestern.

Neben der Unterweisung in der christlichen Lehre übernehmen einige Ursulinen die Betreuung von Kindern in den Waisenhäusern und erkennen bald die Notwendigkeit dort zusammenzuleben. Die meisten bleiben jedoch weiterhin in ihren Familien. Als „Katechismusjungfrauen“ haben die Ursulinen ihren charakteristischen Aufgabenbereich gefunden. Hier liegen die Anfänge für den Schulorden.

Eine endgültige Form erhält die „Compagnia di Sant’Orsola“ durch die sogenannte „Reformierte Regel von Brescia“. Sie umfasst jetzt 26 Kapitel und schreibt die neue Struktur fest. Die Gemeinschaft ist nun dem Bischof von Brescia unterstellt.

Umfang und Inhalt dieser Regel machen bewusst, wie sehr sich die Gemeinschaft in den vierzig Jahren verändert hat. Aus der kleinen Gruppe um Angela Merici ist eine Organisation unter männlicher Führung geworden, die stark in die Reformbewegung nach dem Konzil von Trient eingebunden ist.

Angela und die ersten Frauen

Francesco Cabrino

Katechismus von 1575

Carlo Borromeo

 Brescianer Regel