Die heilige Ursula und ihre Gefährtinnen

Als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Ursula-Legende wird die Clematius-Inschrift in der Kölner Pfarrkirche St. Ursula angesehen. Sie berichtet vom Gelübde eines vornehmen Römers, der sich selbst Clematius nennt und der aufgrund einer Vision sich verpflichtet fühlt, aus eigenen Mitteln die Kirche „ad sanctarum virginum“ (zu den heiligen Jungfrauen) von den Grundmauern auf wieder herzustellen.
Die Echtheit dieser Steinplatte, die sich in der St. Ursulakirche befindet, wird heutzutage nicht mehr bezweifelt. Zumeist wird als Entstehungszeit das Jahr 410 angegeben. Diese Inschrift ist die früheste Nachricht von einem in Köln existierenden Jungfrauenkult, enthält aber noch keine Namen und keine Zahl.
Da der Stein von einer „Wiederherstellung der Kirche“ spricht, muss es eine frühere Kirche gegeben haben und damit muss ein Martyrium von Jungfrauen vor dieser Zeit liegen.
Archäologische Ausgrabungen 1942/43 und 1967 brachten die Grundmauern der Clematiuskirche und einer Vorgängerkirche zutage, die der römischen Zeit entstammt. Während dieser Ausgrabungen fand man im Mittelschiff der Kirche etwa in der Höhe der Vierung eine Grablege von 11 Ossarien, die menschliche Überreste enthielt. Die Ossarien waren mit Namen versehen, an einem Sarg fand man den Namen Ursula. Es handelte sich aber nicht um Originalgräber, sondern um Reliquiengräber aus dem 12. Jahrhundert.

Die heute bekannten unterschiedlichen Datierungen des Jungfrauenmartyriums stammen aus den Legenden. Die für den Kölner Raum zutreffendste Zahl scheint das Jahr 352 zu sein. Die Verehrung der hl. Ursula und ihrer Gefährtinnen lässt sich für diese frühe Zeit aber noch nicht nachweisen. Für die spätere Entwicklung der Legende ist die Entdeckung des „ager Ursulanus“, eines großen römischen Gräberfeldes, im frühen 12. Jahrhundert von Bedeutung. Diesen brachten die Kölner mit der Legende in Verbindung.
Auch aus dem 8. – 10. Jahrhundert belegen Dokumente aus dem kirchlich-liturgischen Gebrauch einen Kölner Jungfrauenkult. Lange Zeit scheint Pinnosa die Anführerin der Jungfrauen zu sein. Der Name Ursula taucht erstmals im 10. Jahrhundert auf. Erst im späten 10. Jahrhundert wird Ursula als Anführerin genannt.
Eine Zusammenfassung zuvor vereinzelt auftretender Aspekte der Legende findet sich in einem predigtartigen Text, einer Lobrede , aus dem 10. Jahrhundert.
Gegen Ende des 10. Jahrhunderts existiert bereits die früheste schriftlich fixierte Legendenform. Wie die Vorgängerdokumente ist sie in lateinischer Sprache verfasst. Im Anhang findet sich eine bedeutende Erweiterung der Legende: die Geschichte der Jungfrau Cordula.
Um 1100 liegt in mehreren Versionen eine zweite Form der Legende in lückenloser Erzählfolge vor. Diese trägt den Titel: „Passio Sanctarum undecim millium virginum“ (Martyrium der heiligen 11000 Jungfrauen). Nach ihren Anfangsworten wird sie unter der Bezeichnung “Regnante Domino [Christo Jesu]" (In christlicher Zeit) geführt. Sie hat fast den Charakter eines Volksbuches und findet in allen Ländern Europas große Verbreitung.
Neben diesen Fassungen gab es in England eine gesonderte englische Version der Legende.
Im 12. Jahrhundert nach der Entdeckung des Gräberfeldes in Köln war man bestrebt, möglichst viele Namen für die aufge-fundenen Gebeine zu erhalten und sie als Gestalten in die Ursula-Legende einzufügen. Die Namengebung geschah vor allem durch Visionen und Erfindungen der Seherin Elisabeth von Schönau, einer Benediktinerin aus dem Kloster Schönau im Taunus.
Die Entwicklungsgeschichte der Ursula-Legende mündet schließlich in der zwischen 1263 und 1273 entstandenen „Legenda aurea“ des Jacobus de Voragine. Dieses Sammelwerk war weit verbreitet und darf als das meistgelesene Volksbuch des Mittelalters angesehen werden. Die hier mitgeteilte Fassung der Ursula-Legende stellt eine Mischform aus früheren Fassungen dar.

Literatur:
F. G: Zehnder, Sankt Ursula, Legende – Verehrung – Bilderwelt, Köln, 1987
O. Dahmen, Das Kölner Sankt-Ursula-Problem auf Grund der Ausgrabungen in den Kriegsjahren 1942 und 1943, Aachen, 1953
H. Fußbroich, St. Ursula in Köln, Rheinische Kunststätten, Heft 128, 1991